Über den richtigen Zeitpunkt, sich mit dem Elfmeterschießen zu befassen (Mental Quickie)

Bastian Schweinsteiger, David Beckham, Roberto Baggio, John Terry und auch Philipp Lahm verbindet abgesehen davon, dass sie alle Weltstars und begnadete Fußballer waren, eine weitere Erfahrung. Sie alle haben in entscheidenden Spielen einen Elfmeter verschossen. 

Der nächste Gegner der deutschen Nationalmannschaft, das englische Team, verlor seit der WM 1990 sechs von sieben Elfmeterschießen – zwei davon gegen Deutschland. Wie kann es dazu kommen, wann ist der richtige Moment sich mental darauf vorzubereiten und vor allen Dingen wie?

Der Moment des Elfmeterschießens ist und bleibt ein besonderer Moment. Die körperliche Belastung hat nach 120 Minuten ihren Tribut gezollt. "Auf welche Seite könnte der Torhüter springen? Was, wenn ich verschieße?" – Fragen, wie diese gehen Elfmeterschützen oft durch den Kopf. Als Schütze stehst du im absoluten Fokus, der Fehltritt ist sofort sichtbar und es gibt keine Möglichkeit den Fehlschuss aus eigener Kraft auszugleichen. Du bist darauf angewiesen, wie es bei den anderen läuft, sofern du in der Reihenfolge nicht der letzte Schütze bist. Es gibt Sportler, die für genau solche Momente leben und brennen. Sie sind nervenstark, entschlossen und wissen ganz genau was zu tun ist. Auch ein Fehlschuss wirft sie nicht aus der Bahn. Paul Breitner, Stefan Effenberg oder Mario Basler gehörten in diese Kategorie. Heutzutage zählen Ronaldo, Messi und auch Lewandowski zu den sichersten Elfmeterschützen.

Wie erreicht man diesen Zustand? Wie kann es auch einem Sportler gelingen, der eventuell nicht diese Nervenstärke in diesem Ausmaß mitbringt, diese herausfordernde Situation zu meistern?
Durch die richtige mentale Vorbereitung! Sobald im Vorfeld feststeht, dass das Spiel im Elfmeterschießen enden kann, beginnt sofort die Vorbereitung! Aussagen wie „Wir gehen in das Spiel um es in der regulären Spielzeit zu gewinnen.“ können da kontraproduktiv wirken. Sollte es sich bei der Aussage um eine Strategie des Trainers handeln, die man lediglich nach Außen kommuniziert, ist das absolut legitim. Brisant wird es dann, wenn sich das Team tatsächlich danach ausrichtet. Kommt es dann zur Verlängerung, ist der ursprüngliche Plan nicht aufgegangen und erste Zweifel können sich zeigen. Wenn dann der Moment des Elfmeterschießens eintritt, können sich die Zweifel erhärten und es kann „haarig“ werden. Man hat sich auf einen anderen Verlauf des Spiels eingestellt und wird nun mit einer Situation konfrontiert, auf die man sich unzureichend vorbereitet hat.  Unzureichende Vorbereitung lässt die Stressbelastung steigen. Wird der Stress als Bedrohung erlebt, ist der Übergang zur Angst und den damit resultierenden leistungsbeeinträchtigenden Gedanken fluid.

Wie sieht die optimale mentale Vorbereitung für den Elfmeterschützen aus?
Es ist eine Kombination aus drei Elementen: das Einholen von Informationen, Visualisierung/ideomotorisches Training, Umsetzung in vivo/physisches Training unter Druck.

Es gibt zahlreiche Datenbanken und Studien zum Thema Elfmeterschießen. Ecke, Geschwindigkeit, Schusshöhe sind dort umfangreich untersucht und ausgewertet worden. Laut der aktuellen Studie einer Frankfurter Hochschule hat das Team unter der Leitung von Prof. Christian Rieck 402 Elfmeterschüsse ausgewertet und kam zu folgenden Ergebnissen. Der Ball beispielsweise, benötigt beim Elfmeter nur rund 0,3 Sekunden bis zum Tor. Fast zeitgleich mit dem Schützen müsse der Torhüter entscheiden, ob und wohin er springt. Torhüter springen in 54 Prozent der Fälle auf die starke Schussseite des Schützen. Darüber hinaus kann der Schütze sich auch mit dem Verhalten des gegnerischen Torwarts auseinandersetzen. Welches ist seine bevorzugte Ecke? Versucht er den Schützen durch Aktionen zu verunsichern oder zu provozieren? All das sind äußerst wichtige und wertvolle Informationen. Sie können dem Schützen die erforderliche Sicherheit und Stabilität verleihen, weil er sich nicht auf ein „unbekanntes Abenteuer“ einlässt, sondern sich vorbereitet hat. 

Beim Visualisieren/ideomotorischen Training geht es darum sich aus der Innenperspektive, assoziiert in die Bewegungsvorstellung hineinzuversetzen und die Prozesse, die für eine möglichst optimale Ausführung nötig sind, nachzuempfinden und zu spüren. Wie fühlt sich mein Gang zum Elfmeterpunkt an? Wie mein Stand während ich auf die Freigabe vom Schiedsrichter warte? Welche Reaktion zeige ich auf Provokationen des gegnerischen Torwarts?  Wie fühlt es sich an, wenn ich mich für „meine“ Ecke entscheide? Wie fühlt sich mein Anlauf an, wo und wie treffe ich den Ball und wie fühlt sich das an? Wie fühlt sich das an, sobald der Ball im Tornetz zappelt? Durch die ständige Wiederholung entstehen positive Empfindungen, die man zusätzlich durch zum Beispiel das Ballen der Siegerfaust, ankern kann. So kann man schon auf dem Weg zum Elfmeterpunkt diesen Anker aktivieren und das gute und sichere Gefühl herbeiholen.

Umsetzung in Vivo oder auch physisches Training, bedeutet nichts anderes, als dass der Sportler nun aus der Visualisierung und dem ideomotorischen Training heraus, die Aktionen 1 zu 1 umsetzt. Gelingt das mit Leichtigkeit erhöht man den Schweregrad dadurch, dass man Drucksituationen aufbaut, die die Konzentration stören und den Schweregrad erhöhen. Eine störende, lärmende Geräuschkulisse kann ebenso hilfreich sein, wie gespielte Provokationen des Trainingspartners, der im Tor steht. Hier sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt, sofern es um realitätsnahe Aktionen handelt. Der Schütze trainiert mental, auch in stressigen und unruhigen Momenten die Ruhe zu bewahren und seine Konzentration aufrecht zu erhalten. Physisches Training, in dem Fall das Elfmeterschießen, kann man nicht oft genug trainieren. Das sorgt für Sicherheit,  Stabilität und Nervenstärke.

Als ehemaliger DFB Stützpunkttrainer in der Talentförderung für Torhüter liegt mir diese Position besonders am Herzen. Dem Torwartspiel widme ich mich schon jahrzehntelang und viele meiner Klienten sind Torhüter. Hier stehe ich mit zahlreichen Torwarttrainern von Bundesligisten im regen Austausch. Auch für Torhüter gilt, ebenso wie für die Schützen, sich im Vorfeld über die gegnerischen Schützen weitestgehend und bestmöglich zu informieren, Visualisierung/ideomotorisches Training und Umsetzung in vivo/physisches Training unter Druck. Aktionen wie einen Zettel in der Hand, auf dem die Lieblingsecke des Schützen steht, können kurz vor dem Elfmeterschießen den Druck auf den Spieler erhöhen. 

Ein weiterer Tipp für die Goalies ist auch sehr herausfordernd in der Umsetzung. Voraussetzungen dafür sind grandiose Reflexe, Explosivität, Sprungkraft und Nervenstärke. Läuft der Spieler langsamer als üblich an, so lange wie möglich stehen bleiben. Das erhöht beim Schützen enorm den Druck und die Wahrscheinlichkeit, dass er verschießt, steigt. Auch ein Blick auf das Standbein des Schützen kann viel über die ausgewählte Ecke des Schützen verraten. Das zeigt in der Regel in die Richtung, in der der Schuss erfolgt. Sowohl für den Schützen als auch für den Torwart gilt: In der Ruhe liegt die Kraft!

Allen Beteiligten viel Erfolg!